Hype um Kamala HarrisGute Memes machen noch keine Präsidentin
VonArno Frank
Kokosnuss-TikToks, Pop-Remixes, Béyonce: Schon jetzt ist Kamala Harris die Präsidentin der Popkultur. Doch wer angesichts des digitalen Hypes einen Obama-Moment erwartet, sollte lieber innehalten: 2024 ist nicht 2008.
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Sie ist eine »brat«, also eine coole »Göre«, die Kokosnuss geht als ihr Symbol viral, ebenso das Limettengrün. Und mit ihrer Inszenierung als cooler »Cop« scheint eine griffige Erzählung für den anstehenden Wahlkampf ebenfalls schon gefunden. Kamala Harris ist schon jetzt die Präsidentin der Popkultur – und die Euphorie so groß, dass manche Beobachter sich an einen anderen Aspiranten erinnert fühlen, der von einer vergleichbar warmen Welle der Zustimmung bis ins Amt getragen wurde: Barack Obama.
Ob Harris sich als »weiblicher Obama« wird präsentieren, vielleicht sogar seinen Erfolg von 2009 wird wiederholen können? Der Vergleich ist verführerisch und wurde schon 2019 gezogen, als Harris sich als Präsidentschaftskandidatin der Demokraten in Stellung bringen wollte. Beide, Harris und Obama, spielen auf der Klaviatur der Popkultur, beide sind Hoffnungsträger ihrer Partei, beide sind Kinder von Zuwanderern, beide sind hervorragende Juristen, beide sind sich ihrer kulturellen Wurzeln in der »black« bzw. »south asian community« bewusst.
Auf dem Papier erscheinen die Parallelen fast zwingend.
Aber nur auf dem Papier. 2009 ist nicht 2024, und Barack Obama ist nicht Kamala Harris. Mit Vorsicht zu genießen ist vor allem der vermeintlich übermächtige Rückenwind für Harris in den sozialen Medien. Zwar konnte Harris die luftigen Likes bereits in harte Dollar ummünzen, in nur 48 Stunden rund 100 Millionen an neuen Wahlkampfspenden einsammeln. Und ja, es ist Begeisterung zu spüren, in TikToks, Posts, Remixes von Popsongs. Leitmedium ist eine so diffuse Öffentlichkeit wie »das Internet« aber nur im physikalischen Sinne – als Leiter von Erregungen aller Art, die sich widerstandslos verbreiten, verstärken und variieren lassen.
Die Freude könnte verfrüht sein
Das gilt für Hass und Hetze ebenso wie für die Erleichterung, mit der Teile dieser Öffentlichkeit auf den Rückzug von Joe Biden reagieren. Die gute Nachricht erzeugt Überschwang, der Überschwang sucht Form, die Form ist das Meme – und fertig ist der Hype um eine Hoffnungsträgerin.
Was bisher, in weniger hitzigen Zeiten, zu ihrem Nachteil ausgelegt wurde, erfährt plötzlich eine Umwidmung ins Positive. Ihr Satz mit der Kokosnuss? Ihr Lachen über die eigenen Witze? Ist plötzlich cool statt »cringe« – weil genug Menschen es cool finden wollen. Beinahe hat es den Anschein, als würde die rechte Strategie des »Warum eigentlich nicht?« und »Jetzt erst recht!« erstmals erfolgreich auf linker Seite angewendet.
Doch die Freude im progressiven Lager könnte verfrüht sein: 2024 ist nicht 2008, »Freedom« ist nicht »Hope« und Kamala Harris nicht Barack Obama. Ob sich die Algorithmen mit ihrer über die Jahre perfektionierten Vorliebe für Schmutz und Scheußlichkeiten auch langfristig werden austricksen lassen, ist mehr als fraglich – zumal mit Elon Musk als X-Chef ein ausgewiesener Trump-Unterstützer am längeren Hebel sitzt.
Establishment statt Außenseiter
Sperrt man einmal versuchsweise den Internetanschluss, werden die Unterschiede zwischen Obama (»Yes we can!«) und Harris (»We will not go back!«) noch deutlicher.
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Obama startete als Außenseiter. Harris geht als designierte Nachfolgerin aus der Poleposition ins Rennen. Obama bediente die beliebte Geschichte vom Underdog, den seine Tugenden bis ganz nach oben tragen. Harris hat sich durch die Gremien nach oben gearbeitet. Obama umgab sich mit der Aura eines Anwalts für Bürgerrechte. Harris repräsentierte als Staatsanwältin ein System, das noch immer Schwarze benachteiligt. Obama trat mit dem Versprechen an, das Establishment in Washington auszumisten – womit er übrigens die Rhetorik eines Donald Trump vorwegnahm. Harris ist das Establishment. Und das derzeitige Momentum für Harris ist genau das: nur ein Moment.
Kein Hype hält für 100 Tage. Und etwa 100 bleiben ihr, abgewanderte Wählerinnen und Wähler von sich zu überzeugen, Junge, Schwarze, Hispanos – und generell eine Masse von Menschen, deren geringste Sorge es sein dürfte, ob die Kandidatin nun »cool« ist oder »cringe«. Wenn ihr das gelingen sollte, dann nur als Kamala Harris. Nicht als Ersatz für eine Sehnsuchtsfigur wie Michelle Obama, nicht als Barack 2.0 – und ganz bestimmt nicht als Meme.